Eigentlich sind die für den Unternehmer relevanten Hardfacts zur Umsatzsteuer schnell zusammengefasst:
Für die Umsatzbesteuerung gilt der Grundsatz der umsatzbezogenen Besteuerung. Der Unternehmer muss grundsätzlich für die von ihm getätigten Umsätze Umsatzsteuer Voranmeldungen sowie eine Jahreserklärung bei dem zuständigen Finanzamt abgeben und die Umsatzsteuer an das Finanzamt abführen. Als Abzugspositionen sind die von dem Unternehmer an andere Unternehmen gezahlte Umsatzsteuerbeträge als Vorsteuern zu berücksichtigen. Und als Unternehmer ist dabei anzusehen, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit, d.h. eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, selbständig ausübt.
Sämtliche steuerbaren Umsätze des Unternehmers unterliegen der Umsatzsteuer. Als steuerbare Umsätze kommen beispielsweise die Lieferungen und sonstigen Leistungen des Unternehmers in Betracht. Als eine Lieferung ist die im Inland getätigte entgeltliche Verschaffung der Verfügungsmacht über einen Gegenstand an einen Dritten anzusehen.
Ein steuerbarer Umsatz liegt aber auch bei einem entgeltlichen innergemeinschaftlichen Erwerb vor. Der gelieferte Gegenstand gelangt hierbei physisch von einem Mitgliedstaat in einen anderen. Nach § 1a Abs. 1, Nr. 3 b) UStG setzt der innergemeinschaftliche Erwerb jedoch voraus, dass die Lieferung an den Erwerber „durch einen Unternehmer gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausgeführt“ wird.
Nicht mehr ganz so einfach war allerdings die Wertung eines Falls, der dem Urteil des BGH vom 08.09.2011, Az. 1 StR 38/11, zu Grunde lag. In dem Fall gab ein europaweit agierender Unternehmer weder Umsatzsteuervoranmeldungen noch Umsatzsteuererklärungen in Deutschland ab. Der Unternehmer leitete sechs einzelne Unternehmen. Die einzelnen Verkaufsgeschäfte bezeichnete er entgegen der üblichen Bezeichnung im Geschäftsverkehr nicht als Versandgeschäfte, sondern als Abholgeschäfte. Dennoch erfolgten die Verkäufe im Versandgeschäft. Der Unternehmer war bei Vornahme der Geschäfte irrig davon ausgegangen, die Abholgeschäfte seien nicht umsatzsteuerbar. In einem Steuerstrafverfahren gegen den Unternehmen wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung ging es um die Frage, ob er hätte wissen können oder müssen, dass seine Umsätze steuerbar waren und dass eine Steuerpflicht, somit auch die Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung bestand.
Der angeklagte Unternehmer leitete mehrere Gesellschaften eigenverantwortlich, die in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union als Deutschland, und zwar in Luxemburg, Belgien, Frankreich und Polen, ihren Sitz hatten und die mit dem Vertrieb von Pflanzenschutzmitteln an in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Landwirte und Winzer befasst waren. Die diversen Gesellschaften des Angeklagten verfügten über Lagerräume in Luxemburg, Frankreich und Belgien. Die Belieferungen der Kunden des Angeklagten erfolgten über Sammelbestellungen bei Einkaufsgemeinschaften. Allein der Angeklagte kannte sämtliche relevanten Bestelldaten inklusive der jeweiligen Abladestellen. Deklariert wurden die Lieferungen jedoch vollumfänglich als „Abholgeschäfte.“
Wie erwähnt war hier problematisch, dass der Angeklagte keine Umsatzsteuererklärungen abgab. Das erstinstanzlich zuständige Landgericht Koblenz ging davon aus, dass der Angeklagte zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärungen verpflichtet war, da seine Kunden umsatzsteuerlich von der Pauschalregelung des § 24 UStG Gebrauch machten. Wegen Nichtabgabe der Erklärungen hat das Landgericht den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. In weiteren zwölf Fällen hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen von dem Vorwurf der Steuerhinterziehung freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil Revision eingelegt und sich damit gegen den Teilfreispruch gewendet. Sie hat weiterhin die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten vorgeworfen, er habe vorsätzlich Umsatzsteuer hinterzogen, indem er vorsätzlich in 17 Fällen Umsatzsteuerjahreserklärungen nicht abgab.
Der Angeklagte teilte hierzu im Prozess mit, er sei sich der Steuerbarkeit der Umsätze nach deutschem Recht nicht bewusst gewesen.
Der BGH hat unter Aufhebung des Urteils des LG Koblenz entschieden, dass der Teilfreispruch der revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht standhielt. Insbesondere erfolgten die Feststellungen des Landgerichts zum Tatvorsatz widersprüchlich und lückenhaft.
Das Landgericht ging teilweise von einem Tatbestandsirrtum aus und sprach den Angeklagten insofern frei. Ein Tatbestandsirrtum ist gegeben, wenn der Täter bei der Begehung einer Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand der Strafvorschrift gehört. Unter diesen Umständen handelt der Täter nicht vorsätzlich. Er wird nicht bestraft.
Der BGH ging vorliegend von einer Steuerbarkeit der Umsätze und einer Steuerpflicht in Deutschland aus. Denn der Ort der Lieferung war nach § 3c Abs. 1 und 2, Nr. 2 c ) UStG zu bestimmen. Zudem hat der BGH im vorliegenden Verfahren entschieden, dass das Landgericht den Tatbestandsirrtum nicht zwingend bejahen musste. Denn ein Tatbestandsirrtum scheidet bei einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen aus, sofern der Täter es für möglich hielt, dass er die Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis ließ und dass durch sein Verhalten Steuern verkürzt wurden oder dass der Täter oder ein anderer nicht gerechtfertigte Vorteile erlangte. Auf die Vorstellung des Täters kommt es an. Hält der Täter die Existenz eines Steueranspruchs für möglich und lässt er die Finanzbehörden über die Besteuerungsgrundlagen gleichwohl in Unkenntnis, so findet er sich offenbar mit der Möglichkeit einer Steuerverkürzung ab und damit handelt er bedingt vorsätzlich. Zur Annahme bedingten Vorsatzes genügen die Feststellungen, dass ein Täter die Verwirklichung der gesetzlichen Merkmale des Tatbestands für möglich hält und billigend in Kauf nimmt. Der BGH bejahte das Vorliegen bedingten Vorsatzes auf der Basis der bisher getroffenen Feststellungen. Da der Angeklagte ab dem Zeitpunkt, in dem er von der luxemburgischen Steuerfahndung aufgesucht worden war, seine zuvor aufgebauten Unternehmensstrukturen fortführte und somit im Ergebnis ein aufwendiges, international verzweigtes Täuschungssystem nutzte.
Durch die Verlagerung der Firmen in das Ausland und die Gründung von Zwischenlagern in Deutschland schuf der Angeklagte einen schwer aufklärbaren Sachverhalt. Denn die Lieferwege und Umsatzerlöse waren undurchsichtig. Das von dem Angeklagten geschaffene Gesamtsystem war auf Täuschung ausgerichtet. Der Angeklagte hielt die Steuerentstehung in Deutschland für möglich. Aus diesem Grunde vermied er eine Besteuerung in Deutschland, indem er in seinen Rechnungen niedrigere ausländische Steuersätze zwischen drei und zwölf Prozent angab. Hierzu musste er allerdings die übliche Geschäftsabwicklung ändern; denn üblicherweise werden die Kunden bei Versandgeschäften von Firmen beliefert. Der Angeklagte deklarierte stets, die Sendungen seien von den Kunden selbst abgeholt und nicht geliefert worden.
Der Angeklagte hätte sich nach dem BGH über die geltenden steuerlichen Pflichten unterrichten müssen, die ihn im Rahmen seines Lebenskreises trafen. Dieser Obliegenheit bestand in besonderem Maße hinsichtlich der steuerrechtlichen Pflichten, die sich aus der Ausübung seines Gewerbes ergaben. Die Tatsache, dass der Angeklagte als Kaufmann agierte, erhöhte die Anforderungen an die Erkundigungspflichten.
Je komplizierter der Sachverhalt ist, den der Steuerpflichtige schafft, desto intensiver sollte seine Aufmerksamkeit auf etwaige steuerliche Pflichten gerichtet sein.
Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 21.08.2012, Az.: 1 StR 26/12, klargestellt, dass ein Steuerpflichtiger zunächst wegen Steuerhinterziehung im steuerlichen Festsetzungsverfahren und später wegen erneuter Steuerhinterziehung im Besteuerungsverfahren -als Teil desselben
Besteuerungsverfahrens- verurteilt werden kann. Denn obwohl dasselbe Besteuerungsverfahren betroffen sei, können unterschiedliche Taten im prozessualen Sinn vorliegen.
Wer also wegen Steuerhinterziehung verurteilt wird und sich im späteren Beitreibungsverfahren, mit dem die Steuerschulden vollstreckt werden sollen, durch falsche Angaben über seine persönlichen Verhältnisse "bewusst und systematisch als vermögenslos darstellt," und hierdurch die Beitreibung der Steuern vereitelt, begeht eine weitere Steuerhinterziehung.
Im konkreten Fall machte der Steuerpflichtige im steuerlichen Festsetzungsverfahren unrichtige Angaben zu seinen Besteuerungsgrundlagen, so dass zu niedrige Einkommen- und Umsatzsteuern festgesetzt wurden. Wegen dieser und weiterer Taten wurde er wegen Steuerhinterziehung zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Als die offenen Einkommen- und Umsatzsteuerschulden beigetrieben werden sollten, stellte er sich „bewusst und systematisch“ (soweit Zitat aus dem
vorgenannten Urteil des BGH) als vermögenslos dar, wodurch er die Beitreibung der geschuldeten Steuern vereitelte. Konkret verhielt es sich so, dass er sein „beträchtliches“ Vermögen bereits auf Dritte übertragen hatte und nun in zwei Schreiben an die Finanzbehörden und im Rahmen einer
Selbstauskunft behauptete, er sei vermögenslos. Und nachdem die Finanzbehörden von ihm unter Zwangsmittelandrohung verlangt hatten, er solle eine eidesstattliche Versicherung abgeben, verschwieg er in der tatsächlich abgegebenen eidesstattlichen Versicherung weitere wesentliche
Teile seines Vermögens.
Als er diese weiteren falschen Angaben machte, war bereits das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren hinsichtlich der falschen Angaben im Festsetzungsverfahren eingeleitet worden. Wegen der falschen Angaben im Beitreibungsverfahren wurde selbstverständlich erst später ermittelt. Er wurde dann erneut verurteilt, diesmal wegen Steuerhinterziehung in mehreren Fällen im Beitreibungsverfahren.
Der BGH sollte rechtliche Bedenken im Hinblick auf die weitere Verurteilung wegen Steuerhinterziehung prüfen. Bedenken haben nicht bestanden.
Zunächst ist relevant, dass eine Steuerhinterziehung grundsätzlich auch in einem Beitreibungsverfahren begangen werden kann, so dass man grundsätzlich davon ausgehen darf, dass unrichtige Schreiben, eine unrichtige Selbstauskunft und eine falsche eidesstattliche Versicherung im steuerlichen Vollstreckungsverfahren, die zu einer Steuerverkürzung führen, eine taugliche Tathandlung im Sinne des § 370 AO sind. Selbstverständlich argumentierte die Verteidigung des Steuerpflichtigen in dem vorliegenden Verfahren, der Verurteilung wegen Steuerhinterziehung im Beitreibungsverfahren hätte das
Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs entgegengestanden. Denn niemand darf mehrmals wegen ein und derselben Tat abgeurteilt werden. Dann muss aber auch ein und dieselbe Tat vorliegen. Das Beitreibungsverfahren ist zwar ein Teil des Besteuerungsverfahrens. Damit liegt jedoch noch kein einheitlicher Lebenssachverhalt vor. Der Steuerpflichtige hatte ursprünglich durch eine unrichtigen Angaben eine Festsetzung angestrebt, die eine Steuerverkürzung bewirken sollte.
Im späteren Beitreibungsverfahren machte er unrichtige Angaben über seine Vermögensverhältnisse, womit er also nicht mehr eine unrichtige Steuerfestsetzung erwirken wollte, sondern verhindern wollte, dass wegen der bereits festgestellten Steueransprüche erfolgreich in sein Vermögen vollstreckt werden würde.
Da das Beitreibungsverfahrens einen eigenständigen Verfahrensabschnitt darstellt, sind die unrichtigen Angaben des Angeklagten über seine Vemögensverhältnisse nach dem BGH als eine neue prozessuale Tat anzusehen. Also löste hier auch die bereits rechtskräftige Verurteilung des Steuerpflichtigen wegen Steuerhinterziehung im Festsetzungsverfahren hinsichtlich der Steuerhinterziehung im Beitreibungsverfahren keinen Strafklageverbrauch aus.
Das Vorbringen der Verteidigung, die eidesstattliche Versicherung sei wegen des Verbots des Zwangs zur Selbstbelastung (sog. Nemo-tenetur-Grundsatz) nicht verwertbar, war hier erfolglos. Die behördliche Aufforderung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung war kein unzulässiges Zwangsmittel; dies ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut der §§ 393 Abs. 1, S. 2 und 3 sowie 328 Abs. 1 S. 1 AO. Zudem berechtigt das vorerwähnte Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung nur zum Schweigen, nicht aber zur Begehung neuen Unrechts. Und vorliegend beging der Steuerpflichtige mittels falscher Angaben neues Unrecht.
Aber der Steuerpflichtige hätte sich auch in einer Konfliktlage befinden müssen, um sich erfolgreich auf das Verbot berufen zu können. Diese Konfliktlage hätte ihn zwingen müssen, sich wegen einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit selbst zu belasten. Dies war aber nicht der Fall. Seine unrichtigen Angaben waren nicht auf Beeinflussung der Festsetzung gerichtet, und die Ermittlungen betreffend die Beitreibung waren noch nicht eingeleitet.
Vor allem hätte er noch bis zu dem Zeitpunkt, in dem man ihm die Einleitung des zweiten Ermittlungsverfahrens mitgeteilt hatte, durch Erstattung einer Selbstanzeige Straffreiheit erlangen können. Völlig ohne Not wurden falsche Angaben gemacht, die eine weitere Verurteilung wegen Steuerhinterziehung zur Folge hatten. Hier zeigt sich, dass in steuerlichen Angelegenheiten dringend fachlicher Rat und Beistand eingeholt werden sollte, und zwar bis zur etwaigen Vollstreckung.
(BFH-Urteil vom 25. April 2013, Az.: V R 28/11)
Unter bestimmten Voraussetzungen sind nach deutschem Steuerrecht die von Deutschland ausgehenden Lieferungen in andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union umsatzsteuerfrei.
Dies ist in der Regel der Fall, wenn die Ware in einen anderen EU-Mitgliedstaat geliefert wird, der Kunde ein Unternehmer ist, er die Ware für sein Unternehmen erworben hat und die Lieferung in seinem Land zu versteuern ist.
Diese Voraussetzungen muss der Lieferant nachweisen. Hierzu sollte er sich die UmsatzsteuerIdentifikationsnummer des Kunden sowie dessen Kontaktdaten und Vertreter bzw. Organe mitteilen lassen. Wenn gewünscht, bestätigt das Bundeszentralamt für Steuern die Daten auf Nachfrage.
In einigen Fällen stimmen die dem Lieferanten mitgeteilten Daten einfach nicht, weil der Kunde unrichtige Angaben gemacht hat. Die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung ist dann problematisch.
Dies sind Fälle, in denen entweder der Lieferant die Lieferung als steuerfrei behandelt, weil er sich auf die Richtigkeit der Kundendaten verlassen hat und auch verlassen durfte. So verhält es sich, wenn der Lieferant die Unrichtigkeit der Daten auch bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. Dann schuldet der Abnehmer die entgangene Steuer.
Oder es handelt sich um Fälle, in denen der Lieferant die ihm zumutbaren und zur Verfügung stehenden Maßnahmen nicht ergriffen hat und nicht sichergestellt hat, dass die von ihm vorgenommene innergemeinschaftliche Lieferung nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung durch den Erwerber beiträgt.
Und gerade mit diesem Fall befasst sich das vorgenannte Urteil. Der Bundesfinanzhof zeigt sehr deutlich die Grenzen des Vertrauensschutzes bei innergemeinschaftlichen Lieferungen auf. Dem Fall lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Ein in Deutschland ansässiger Unternehmer exportierte PKWs. Ein Geschäft, das vermeintlich mit einer in Luxemburg ansässigen Firma geschlossen wurde, war aber entgegen den Erwartungen des Exporteurs nicht als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei. Und zwar hatte der Exporteur via Internet einen Interessenten gefunden, der im Urteil mit dem Kürzel KP bezeichnet wurde. KP gab sich dem Exporteur als Geschäftsführer einer in Luxemburg ansässigen GmbH aus. Er legte dem Exporteur ein Schreiben mit dem Briefkopf der GmbH sowie einen Auszug aus dem Handels- und Gesellschaftsregister aus Luxemburg vor, wonach KP als Geschäftsführer der GmbH ausgewiesen war. Aus dem ebenfalls vorgelegten Personalausweis des KP ergab sich, dass dieser in Deutschland ansässig war.
Der Exporteur wollte eigentlich einen Vertrag mit der Luxemburger GmbH schließen. Tatsächlich jedoch vertrat KP die GmbH nicht. Er spiegelte dem Exporteur mit einem selbst aufgesetzten Schreiben, der Mittelsmann L solle die Ware bei dem Exporteuer unter Barzahlung abholen und an die GmbH in Luxemburg liefern. KP erteilte hierzu dem L eine Vollmacht und legte sie mit einer Kopie des Personalausweises von L, die sich später als Fälschung erwies, dem
Exporteuer vor. Da das Bundesamt für Finanzen die Richtigkeit der UmsatzsteuerIdentifikationsnummer bestätigt hatte, vertraute der Exporteur dem KP. Und schließlich bestätigte L auch noch unter Vorlage von Rechnungsdoppeln die Beförderung der Ware nach Luxemburg.
Der Exporteuer dachte also, er hätte alles getan, um die Steuerfreiheit zu prüfen. Und hierzu hatte er auch entsprechende Nachweise gesammelt.
Nach dem BFH-Urteil hat er dennoch nicht die erforderliche Sorgfalt beachtet und auch die Nachweispflichten nicht erfüllt. Im Fall ergaben sich Zweifel an der Richtigkeit der Angaben. Denn die gesamte Korrespondenz zwischen dem Exporteur und KP war allein über ein Mobiltelefon und ein Telefaxgerät mit jeweils deutscher Vorwahl erfolgt. Hier hätte der Exporteur weitere Erkundigungen über die Vertretung der GmbH durch KP bzw. dessen Organstellung einholen müssen. Auch stimmten die Unterschriften auf dem Personalausweis des L und den Rechnungsdoppeln nicht überein.
Die Bösgläubigkeit des Exporteurs begründet der Bundesfinanzhof hier damit, dass ungewöhnliche Umstände vorgelegen haben. Die Barzahlung hochwertiger Wirtschaftsgüter, die fehlende Vertretungsmacht und die Tatsache, dass die Anbahnung des Geschäftskontakts und die weitere
Korrespondenz nicht über den Geschäftssitz der GmbH erfolgte, gaben den Ausschlag für die Entscheidung.
Die Grenzen des Vertrauens sind klar definiert. Der Exporteur muss sich vergewissern, mit wem er es zu tun hat. Grenzenloses Vertrauen schadet hier offenbar nur.
(Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18. Januar 2012, Aktenzeichen: XI R 27/08)
Eigentlich ist die Regelung des § 1 Abs. 1 a UStG für eine steuerrechtliche Norm recht eindeutig. Dennoch wirft die Anwendung der Norm einige Schwierigkeiten auf.
In dem vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall stritten die Parteien über die Rechtsfolge des § 1 Abs. 1 a UStG. Die Klägerin betrieb zunächst in ihrem Ladenlokal einen Einzelhandel mit Sportartikeln. Später veräußerte sie ihren Warenbestand sowie ihre Geschäftsausstattung an einen Dritten. Dieser Dritte mietete von der Klägerin zudem das Ladenlokal, wobei der Mietvertrag die gesetzliche Kündigungsfrist vorsah.
Die Klägerin wies in ihrer Rechnung an den Dritten für die Veräußerung des Warenbestands und der Ausstattung keine Umsatzsteuer aus. Auch gab sie die Erlöse aus der Veräußerung nicht in ihrer Umsatzsteuererklärung an. Sie ging davon aus, dass eine Geschäftsveräußerung im Ganzen vorlag.
Die Finanzbehörde und spätere Beklagte sah dies anders. Sie war der Auffassung, das Grundstück sei eine wesentliche Geschäftsgrundlage des Betriebs der Klägerin, und mangels Veräußerung des Grundstücks habe keine Geschäftsveräußerung im Ganzen vorgelegen.
Die Klägerin hat vor dem zuständigen Finanzgericht obsiegt, da dieses davon ausging, eine dauerhafte Unternehmensfortführung sei dem Dritten aufgrund der Anmietung möglich gewesen, und er habe das Unternehmen auch tatsächlich fortgeführt. Gegen das Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Denn bei einem Mietvertrag mit gesetzlicher Kündigungsfrist sei die dauerhafte Betriebsfortführung gerade nicht gewährleistet.
Nach bisheriger Rechtsprechung setzte eine Geschäftsveräußerung im Ganzen voraus, dass ein Grundstück, das nicht mit übereignet wurde, dem Erwerber zumindest langfristig zwecks dauerhafter Fortführung des Betriebs zur Nutzung überlassen werden sollte. Hierzu wurde grundsätzlich eine Mietdauer von zehn Jahren als Indiz für eine langfristige Nutzungsüberlassung des Betriebsgrundstücks angesehen. Der Bundesfinanzhof sah den vorliegenden Fall als besonders an, da der Mietvertrag auf unbestimmte Zeit geschlossenen wurde und somit von jeder Partei kurzfristig kündbar war.
Daher hat der Bundesfinanzhof das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt. Dabei wurden folgende Fragen zur Klärung gestellt:
Der Europäische Gerichtshof hat geantwortet, dass die Übereignung des Warenbestands und der Geschäftsausstattung unter gleichzeitiger Vermietung des Ladenlokals an den Erwerber auf unbestimmte Zeit eine Übertragung des Gesamt- oder Teilvermögens im Sinne des Artikels 5 Absatz 8 Satz 1 der sechsten Richtlinie 77/388/EWG darstelle, wenn die übertragenen Sachen hinreichen würden, damit der Erwerber eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit dauerhaft fortführen könne.
Die Revision des Finanzamts ist zurückgewiesen worden. Somit lag dem Streitfall eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung zu Grunde.
Eine Geschäftsveräußerung im Ganzen setzt nach § 1 Absatz 1a Satz 2 UStG voraus, dass ein Unternehmen bzw. ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird. Der erwerbende Unternehmer tritt an die Stelle des Veräußerers.
Diese Grundsätze über die Geschäftsveräußerung im Ganzen beruhen auf Art. 5 Abs. 8 der sechsten Richtlinie 77/388/EWG. Nach dieser Richtlinie dürfen die Mitgliedsstaaten die Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich oder durch eine Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, so behandeln, als ob keine Lieferung einzelner Gegenständen, sondern eine Übertragung im Ganzen vorliegt.
Der Europäische Gerichtshof setzt zur Annahme einer Geschäftsveräußerung im Ganzen voraus, dass die Gesamtheit der übertragenen Bestandteile hinreicht, um die Fortführung einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit zu ermöglichen. Außerdem muss der Erwerber beabsichtigen, den übertragenen Betrieb oder Unternehmensteil fortzuführen und nicht nur die betreffende Geschäftstätigkeit abzuwickeln und evtl. den Warenbestand zu verkaufen.
Die Tatsache, dass der Dritte im vorliegenden Ausgangsfall den Betrieb nahezu zwei Jahre lang fortführte, dürfte mitunter den Ausschlag für die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs gegeben haben.
Dieser Fall ist insofern bemerkenswert, als dass hier eine Geschäftsveräußerung im Ganzen angenommen wird, obschon einzelne wesentliche Betriebsgrundlagen nicht mit übereignet wurden.
Ein Betriebsinhaber, der heute einen kroatischen Staatsangehörigen ohne erforderliche Arbeitsgenehmigung beschäftigt, muss mit einem Bußgeld von bis zu € 500.000,00 rechnen, vgl. § 404 Abs. 2, Nr. 3 in Verbindung mit § 284 Abs. 1 S. 1 SGB III.
Grundsätzlich benötigen die Staatsangehörigen der EU-Mitgliedsstaaten keine Arbeitsgenehmigung, wenn sie in Deutschland arbeiten. Eine Ausnahme stellen kroatische Arbeitnehmer deutscher Betriebe dar. Denn sie werden noch bis zum 30. Juni 2015, längstens bis zum 30. Juni 2020, eine Arbeitsgenehmigung-EU benötigen.
Ein Arbeitgeber, der einen kroatischen Staatsangehörigen ohne Genehmigung der Bundesagentur für Arbeit in seinem Betrieb beschäftigt, begeht grundsätzlich eine Ordnungswidrigkeit. Der Arbeitgeber muss vor Aufnahme der jeweiligen Beschäftigung für das Vorliegen einer Arbeitsgenehmigung sorgen, indem er entsprechende Anträge bei der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Agentur für Arbeit oder der Minijob- Zentrale stellt. Der Ordnungswidrigkeitentatbestand ist nicht erfüllt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht vorsätzlich oder fahrlässig ohne Genehmigung beschäftigt. Dies sind die höchst seltenen Fälle, in denen der Arbeitgeber von seinem Arbeitnehmer über dessen Nationalität getäuscht wird; der Arbeitgeber meldet den Arbeitnehmer dann nicht mit dem korrekten Status bei der Sozialversicherung an. Kann die für die Festsetzung der Bußgelder in solchen Angelegenheiten-zuständige Zollbehörde dem Arbeitgeber Vorsatz oder Fahrlässigkeit nachweisen, so ist das Bußgeld verwirkt. Ein Arbeitgeber, der einen EU-Ausländer ohne die erforderliche Arbeitsgenehmigung-EU beschäftigt, hat damit zu rechnen, dass er eine Geldbuße von bis zu € 500.000,00 zahlen muss. Das Bußgeld fällt übrigens auch an, wenn die Meldepflicht zur Sozialversicherung beachtet wird, der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aus Kroatien also zur Sozialversicherung anmeldet, aber das Erfordernis der Arbeitsgenehmigung-EU nicht beachtet.
Der hier beschriebene Bußgeldtatbestand galt bis vor Kurzem für die Unionsbürger aus Bulgarien und Rumänien sowie deren Familienangehörige. Diese durften in Deutschland bis zum 31. Dezember 2013 nicht ohne eine Arbeitsgenehmigung-EU in Deutschland arbeiten. Seit dem 01. Januar 2014 haben Bulgaren, Rumänen und deren Familienangehörige jedoch freien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Nun dürfen sie erlaubnisfrei in Deutschland arbeiten.
Ab dem 01. Januar 2014 gilt für Bulgaren, Rumänen und deren Familienangehörige ein Zustand, der ab dem 01. Juli 2015 (evtl. ab dem 01. Juli 2020) auch für Kroaten gelten wird. Dann werden sie alle genehmigungsfrei Beschäftigungen in Deutschland ausüben dürfen.
Nehmen wir an, ein deutscher Unternehmer hat in 2013 einen bulgarischen oder rumänischen Staatsangehörigen ohne erforderliche Genehmigung beschäftigt. Nehmen wir weiter an, das für seinen Betriebssitz zuständige Hauptzollamt ermittelt schon seit 2013 gegen ihn und ist bestrebt, ein Bußgeld gegen ihn zu verhängen. Ab dem 01. Januar 2014 gilt aber eine neue Rechtslage, nach der die Beschäftigung des Arbeitnehmers genehmigungsfrei ist und die genehmigungsfreie Beschäftigung deshalb auch aus heutiger Sicht nicht bußgeldbewehrt ist. Solche Fälle kommen in der Praxis vor.
Und dieser bzw. ein ähnlicher Fall wird auch in Zukunft Relevanz haben.
Denn der Fall betreffend den Arbeitgeber, der heute einen Kroaten ohne
eine Arbeitsgenehmigung-EU in seinem Betrieb beschäftigt und gegen den
heute oder demnächst Ermittlungen aufgenommen werden und in dessen
Bußgeldverfahren die Behörde erst im Juli 2015 oder 2020 eine
Entscheidung treffen wird, wird ebenso zu lösen sein wie der
vorbeschriebene Fall..
Bußgelder, die die Behörde vor Änderung der Gesetzeslage verhängt hat, die nach Änderung der Gesetzeslage aber noch nicht rechtskräftig sind, stellen hier ein Problem dar. Die Behörden sind bestrebt, die Bußgeldbescheide durchzusetzen. Die Unternehmer berufen sich auf die Gesetzeslage. Nach § 4 Abs. 3 des Ordnungswidrigkeitengesetzes ist das „mildeste“ Gesetz anzuwenden, wenn das Gesetz, das bei Beendigung der Tat noch galt, vor der Entscheidung in der Sache geändert worden ist. Dann greift also das so genannte Meistbegünstigungsprinzip. Vorliegend gibt es nur ein Gesetz, das zu betrachten ist, und zwar die jeweils alte sowie die jeweils neue Version des § 284 Abs. 1 S. 1 SGB III. Das mildere Gesetz ist dann in diesen Fällen die jeweils neue Version des § 284 Abs. 1 S. 1 SGB III. Nach geänderter Gesetzeslage verwirklicht der Unternehmer in jedem der genannten Fälle keinen Bußgeldtatbestand im Sinne des § 404 Abs. 2, Nr. 3 SGB III. Damit ist die jeweils geänderte Gesetzeslage anzuwenden, weil sie die günstigere ist. Und die Behörde darf kein Bußgeld erhängen. Die Verfahren sind einzustellen.
Auch unter Berücksichtigung der in diesem Zusammenhang viel diskutierten Zeitgesetze ergibt sich kein anderes Ergebnis. Zeitgesetze sind von vornherein zeitlich konkret befristet. § 4 Abs. 4 S. 1 OWiG regelt, dass ein solches Gesetz auch dann auf Handlungen, die während der Geltung des Gesetzes begangen wurden, angewendet werden soll, wenn das Gesetz schon längst außer Kraft ist. Zunächst ist jedoch der Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 404 Abs. 2, Nr. 3 SGB III, der auf § 284 Abs. 1 S. 1 SGB III verweist, kein Zeitgesetz. § 404 Abs. 2, Nr. 3 SGB III normiert lediglich, dass derjenige ordnungswidrig handelt, der entgegen § 284 Abs. 1 S. 1 SGB III (oder entgegen einer anderen Norm aus dem Aufenthaltsgesetz) vorsätzlich oder fahrlässig einen Ausländer beschäftigt. Aus dem Wortlaut des § 404 Abs. 2, Nr. 3 SGB III ergibt sich demnach weder ein Zeitpunkt noch ein Ereignis, mit dem die Norm außer Kraft treten würde. Auch aus dem Zweck der Norm ergibt sich keine konkrete zeitliche Beschränkung. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit mag in Europa ein hehrer Grundsatz sein. Die wenigen normierten Ausnahmen von dem Grundsatz sind allerdings nicht von vornherein konkret
zeitlich befristet.
Und selbst wenn die Norm nun doch ein Zeitgesetz wäre, so wäre dennoch das Meistbegünstigungsprinzip anwendbar. Eine Auslegung des § 4 Abs. 4 S. 1 OWiG, wonach das Meistbegünstigungsprinzip auf einen Altfall nicht anwendbar sein sollte, weil ein Zeitgesetz vorliegt, wäre eine Auslegung, die über den Wortlaut des Gesetzes hinausginge. Und Auslegungen von Straf- oder Bußgeldtatbeständen, die über den Wortlaut hinausgehen, sind durch die Verfassung verwehrt. Hier gilt das
Bestimmtheitsgebot für Straf- und Bußgeldvorschriften.
Ausnahmsweise erspart die Gesetzgebung dem Arbeitgeber die sehr teuren Rechtsfolgen nicht eingeholter Genehmigungen der Bundesagentur für Arbeit.
Der BFH hat mit Urteil vom 25.3.2015, Az.: X R 20/13, zu den Anforderungen an die Schätzung mittels eines Zeitreihenvergleichs Stellung bezogen.
Zum Verständnis des Urteils dürfte zunächst die Erläuterung der Voraussetzungen und der Mittel einer Schätzung hilfreich sein:
Nach § 162 Abs. 1 S. 1 AO hat die Finanzbehörde zu schätzen, wenn sie die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann. Sie hat nach § 162 Abs. 2 S. 2 AO die Befugnis zur Schätzung von Besteuerungsgrundlagen, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichende Aufklärung geben kann, weitere Auskunft verweigert oder seine Mitwirkungspflichten verletzt, vgl. § 162 Abs. 2 Satz 1 AO. Das gleiche gilt, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen unvollständig oder formell oder sachlich unrichtig sind, vgl. § 162 Abs. 2 Satz 2 AO.
Formell ordnungsgemäß ist die Buchführung, wenn die Buchungen sowie die sonstigen erforderlichen Aufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet sind, vgl. § 146 Abs. 1 AO. Die Kassenein- und ausgaben sind außerdem täglich so festzuhalten, dass ein Buchsachverständiger aufgrund der Kassenaufzeichnungen jederzeit in der Lage wäre, den Sollbestand mit dem Istbestand der Geschäftskasse zu vergleichen, vgl. BFH Urteil vom 14.12.2011, Az.: XI R 5/10. Entsprechen die Buchführung und die Aufzeichnungen eines Steuerpflichtigen den allgemeinen formalen Anforderungen der §§ 140 bis 148 AO, sind Buchführung und Aufzeichnungen der Besteuerung zu Grunde zu legen, es sei denn, nach den Umständen des Falles ist Anlass gegeben, die sachliche Richtigkeit zu beanstanden; dies ergibt sich aus § 158 AO.
Bei formellen Buchführungsmängeln besteht nicht die Vermutung der Richtigkeit der Besteuerungsgrundlagen, die im Grundsatz von § 158 AO normiert ist. Allerdings beschränkt der BFH bei den formellen Buchführungsmängeln die Schätzungsbefugnis der Behörde auf die Fälle, die der Behörde Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln, vgl. BFH-Urteil vom 17.11.1981, Az.: VIII R 174/77, BFH-Urteil vom 14.12.2011, Az.: XI R 5/10. Im Wege der freien Beweiswürdigung ist dann festzustellen, ob nur unwesentliche formelle Buchführungsmängel vorliegen, vgl. BFH-Urteil vom 14.12.2011, Az.: XI R 5/10.
In dem Fall, der dem Urteil des BFH vom 25.03.2015, Az.: XR 20/13, zu Grunde lag, war zunächst von formellen Mängeln in der Buchführung der Gaststätte der Kläger auszugehen. Hierzu hatte bereits vorinstanzlich das Finanzgericht festgestellt, dass die Tagesendsummenbons unvollständig waren. Hierdurch war die vollständige Erfassung der Bareinnahmen nicht gesichert. Zudem wurde das Fehlen der Programmierprotokolle der Registrierkasse als weiterer formeller Mangel angesehen.
Konkrete materielle Mängel wurden nicht festgestellt.
Seite 2 von 3 Somit kam es im Verfahren auf Zweifel an der sachlichen Richtigkeit der Buchführungsergebnisse an.
Um den erforderlichen Nachweis der materiellen Unrichtigkeit zu führen, bediente sich das Finanzamt den Ergebnissen eines Zeitreihenvergleichs.
Ein Zeitreihenvergleich ist eine Verprobungs- und Schätzungsmethode des Finanzamts bei Außenprüfungen, die zumeist zu erheblichen Hinzuschätzungen führt. Bei Anwendung dieser Methode wird der Nettowareneinkauf abzüglich des unternehmerischen Eigenverbrauchs sowie der Personalbeköstigung in einem bestimmten Zeitraum ins Verhältnis zu den Bruttoerlösen desselben betrachteten Zeitraums gesetzt. Für diesen Zeitraum wird dann ein Rohgewinnaufschlagsatz ermittelt, der das Verhältnis zwischen den bereinigten Einkäufen und den Erlösen darstellt. Nach Einschätzung der deutschen Finanzbehörden kann der höchste für einen Zeitraum ermittelte Rohgewinnaufschlagsatz für das gesamte Jahr angewendet werden. In dem Fall, der dem Urteil hier zugrunde liegt, betrachtete das Finanzamt jeweils Zehn-Wochen-Zeiträume.
Ohne die Methode des Zeitreihenvergleichs zu verwerfen, setzt der BFH auf anderweitige „moderne“ Prüfungsmethoden, die mathematisch-statistisch aufgebaut sind und in der Lage sind, die zum Teil von Steuerpflichtigen vorgenommenen ausgefeilt geplanten Doppelverkürzungen aufzudecken.
Die Verprobungs- und Prüfungsmethode des Zeitreihenvergleichs ist nach Einschätzung des BFH unsicher. Sie lasse keinen sicheren Schluss auf das Vorliegen und den Umfang auch materieller Unrichtigkeit der Buchführung zu. Andere Schätzungsmethoden bauten eher auf betriebsinternen Daten auf oder berücksichtigten in anderer Weise die individuellen Verhältnisse des Steuerpflichtigen. Sie seien grundsätzlich vorrangig heranzuziehen.
Nur wenn diese anderen Methoden nicht sinnvoll seien, solle die Behörde auf Zeitreihenvergleiche zurückgreifen.
Der Zeitreihenvergleich ist dadurch gekennzeichnet, dass für jede Woche eines Kalenderjahres der wöchentliche Wareneinsatz und der Betrag der wöchentlichen Einnahmen ermittelt werden. Aus der Berechnung des Verhältnisses dieser Werte ergibt sich der wöchentliche Rohgewinnaufschlagsatz. Die Finanzbehörde legt ihren Berechnungen den höchsten Rohgewinnaufschlagsatz, der sich in einem beliebigen Zehn-Wochen-Zeitraum des Kalenderjahres ergibt, für das Gesamtjahr zu Grunde. In aller Regel sind aus der Buchhaltung des Steuerpflichtigen die wöchentlichen Wareneinsätze nicht zu entnehmen. Insofern versucht die Finanzverwaltung, diese Größen anhand der Verteilung der durch Eingangsrechnungen nachgewiesenen Wareneinkäufe und der Zeitabstände bis zum jeweils nächsten Einkauf gleichartiger Ware zu gewinnen. Die Finanzbehörde bereinigt die Wareneinkäufe um Personalbeköstigungen, Waren- bzw. Sachentnahmen und Warenbestandsveränderungen.
Diese Methode hat analytische Schwächen, gerade im Hinblick auf mögliche Warenbestandsveränderungen. Der Rohgewinnaufschlagsatz ist bei einem Warenbestandsaufbau eher gering und bei einem Warenbestandsabbau eher hoch. Ist die Lagerhaltung saison- oder
Seite 3 von 3 betriebsbedingt nicht konstant, werden Bestände unterjährig also auf- oder abgebaut, wirkt sich dies jedoch auf die Rohgewinnaufschlagsätze aus und der höchste Bestandsabbau bewirkt den höchsten, von der Finanzbehörde zu Grunde gelegten Rohgewinnaufschlagsatz. Dieser wird auf das gesamte Jahr angewendet. In solchen Fällen ist die Anwendung des höchsten Rohgewinnaufschlagsatzes für das gesamte Jahr nicht angemessen.
Deshalb hat der BFH als Voraussetzung für die Durchführung eines Zeitreihenvergleichs vorgesehen, dass grundsätzlich in den Betrieben der Steuerpflichtigen das Verhältnis zwischen dem Wareneinsatz und den Erlösen im betrachteten Zeitraum weitgehend konstant sein muss. Dies hat der BFH im ersten Leitsatz festgehalten.
Ansonsten hat der BFH in diesem Urteil die folgenden weiteren Leitsätze gefasst:
Bei einer Buchführung, die formell ordnungsgemäß ist oder nur geringfügige Mängel aufweist, soll der Nachweis der materiellen Unrichtigkeit grundsätzlich nicht allein aufgrund der Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs geführt werden. Dies ist auf die methodenbedingten Unsicherheiten zurückzuführen. Die individuellen Verhältnisse des Betriebs des jeweiligen Steuerpflichtigen werden bei dieser Methode nicht hinreichend berücksichtigt. Andere Schätzungsmethoden, wie
eine Vermögenszuwachs- oder Geldverkehrsrechnung, seien vorzuziehen.
Darüber hinaus sollen nach dem BFH die Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs nur dann einen Anhaltspunkt für die Höhe der erforderlichen Hinzuschätzung bilden, wenn bei formell unrichtiger und nicht nachgewiesener materieller Unrichtigkeit andere Schätzungsmethoden, die auf betriebsinternen Daten aufbauen oder in anderer Weise die individuellen Verhältnisse des jeweiligen Steuerpflichtigen berücksichtigen, nicht sinnvoll einsetzbar sind. Verbleiben Zweifel, können Abschläge in einem Umfang vorgenommen werden, der über eine bloße Abrundung hinausgeht.
Allerdings können nach dem BFH die Ergebnisse eines --technisch korrekt durchgeführten-- Zeitreihenvergleichs auch für die Ermittlung der erforderlichen Hinzuschätzung der Höhe nach herangezogen werden, wenn aus anderen Gründen, die sich also nicht erst aus dem Ergebnis des Zeitreihenvergleichs ergeben, bereits feststeht, dass die Buchführung im Betrieb des Steuerpflichtigen sowohl formell als auch materiell unrichtig ist. Die nachgewiesene materielle Unrichtigkeit muss dabei aber eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige Bagatellschwelle übersteigen. Und im Einzelfall dürfen sich keine anderen Schätzungsmethoden aufdrängen, die tendenziell zu genaueren Ergebnissen führen und mit vertretbarem Aufwand einsetzbar wären.
Bundesarbeitsgericht-Urteil vom 16. Juli 2015, Az.: 2 AZR 85/15
Ein abhängig Beschäftigter im öffentlichen Dienst erhielt eine fristlose Kündigung, weil er privat beschaffte Bild- oder Tonträger während der Arbeitszeit für sich selbst oder für Kollegen kopierte und dabei dienstliche Ressourcen verwendete. Ihm wurde vorgeworfen, seinen dienstlichen Computer unbefugt hierzu genutzt zu haben. Unklar blieb, ob er DVDRohlinge seines Dienstherrn für private Kopiervorgänge genutzt hatte. Jedenfalls hatte er in der Zeit von Oktober 2010 bis März 2013 über 1.100 DVD´s an seinem Dienst-PC bearbeitet. Und in der gleichen Zeit hatte die Behörde, bei der er beschäftigt war, etwa gleich viele DVD-Rohlinge bestellt. Unstrittig hatte er auf dem dienstlichen Farbdrucker CD-Cover ausgedruckt.
Zunächst hatte die Behörde eigene Ermittlungen zum Fall aufgenommen. Sie hatte die Strafverfolgungsbehörden zu jener Zeit nicht eingeschaltet. Mehr als zwei Wochen, nachdem sie von dem Fall Kenntnis erlangt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis fristlos mit der Begründung, der Arbeitnehmer habe während der Arbeitszeit privat beschaffte Bild- oder Tonträger unbefugt unter Verwendung dienstlicher Ressourcen zur Erstellung eigener oder fremder DVD- oder CD-Rohlinge verwendet.
Der Arbeitnehmer hat Kündigungsschutzklage eingereicht. Erst- und zweitinstanzlich hat er obsiegt, da die zuständigen Gerichte annahmen, die Kündigungen seien unwirksam, nachdem der Tatbeitrag an den Kopier- und Brennvorgängen des Arbeitnehmers unklar geblieben war. Auch hätten die dienstlichen Ermittlungen, gegen die grundsätzlich nichts einzuwenden sei, den Beginn der zweiwöchigen Frist zur Erklärung der außerordentlichen Kündigung nicht gehemmt. Außerdem hätte die beschäftigende Behörde nur den Arbeitnehmer und keine weiteren Beschäftigten sanktioniert.
Die Revision der Behörde war erfolgreich.
Die fristlose Kündigung war nicht deshalb unwirksam, weil der konkrete Tatbeitrag des Arbeitnehmers im Laufe des Verfahrens unklar geblieben ist. Entscheidend ist nicht, ob der Arbeitnehmer sämtliche relevanten Handlungen selbst vorgenommen hat. Ausreichend für eine fristlose Kündigung wäre bereits das Zusammenwirken mit anderen Beschäftigten oder das Ermöglichen der Herstellung von Kopien durch die Kollegen.
Auch erklärte die Behörde die Kündigung rechtzeitig. Denn die Ermittlungen hemmten den Beginn der vierzehntägigen Frist zur Vornahme der fristlosen Kündigung. Dies gilt stets, so das Bundesarbeitsgericht, solange die Ermittlungen zügig durchgeführt werden.Relevant ist auch nicht, ob die Behörde Maßnahmen gegen andere Beschäftigte wegen des Falls ergriff.
Der Personalrat der Behörde wurde hier ordnungsgemäß angehört.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts ist die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen worden.
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